Hallihallo und so weiter,
es passiert viel in dieser Welt, das Meiste davon macht Bauchschmerzen und weil man manchmal ein bisschen mentalen Urlaub von negativer Dauerbeschallung braucht, widmen wir uns hier popkulturellen Themen, die zwar auch wütend machen, die Welt aber zumindest nicht in weitere historische Tiefpunkte stürzt.
Deswegen sprechen wir heute über pseudomaskuline Sexualität jenseits aller Schamgrenzen und – nee, damit meine ich nicht Babygirl, sondern die aktuellste Staffel der Dating-Show Make Love Fake Love, aber dazu gleich mehr. Wir starten mit einem Film, der sehr nackt, semi provokativ und leider auch etwas quatschig ist. Let’s go.
Ich bin ganz generell immer für Filme zu haben, in denen sexuelle Fantasien des Mainstream ausgekostet werden. Nicht nur, weil man mit solchen Themen ein bisschen mehr Internetaufmerksamkeit erhält als mit Berlinale-Filmen, in denen Menschen mit in den Spiegelungen einer Schaufensterreklame erkennen, dass die deutsche Erbschuld an der Karriere von Thomas Gottschalk sie nicht ganz loslässt. Nein, ich finde filmische Grenzerfahrungen spannend und wo finden wir das? Ganz genau, bei Todesangst und Sex, deswegen yay Horror-Genre und Erotik-Thriller – oder wo auch immer sich Babygirl einordnen würde.
Ugh, Babygirl
Worum geht’s? Nicole Kidman spielt eine Frau, die sehr reich damit geworden ist, Prozesse zu automatisieren, sprich: Sehr viele Leute arbeitslos zu machen. Letzteres sagt der Film natürlich nicht so klar, er möchte schließlich, dass wir auf der Seite der Protagonistin ist. Die hat nämlich ein Problem: Beim Sex mit ihrem Mann, Theaterregisseur und HOT, denn er wird von einem ergrauten Antonio Banderas gespielt, kommt sie nicht zum Orgasmus.
Sie fühlt intim nur etwas, wenn sie erniedrigt oder benutzt wird, das genaue Wording ist hier nicht so ganz klar. In jedem Fall hat sie Bock auf BDSM, der deutlich jüngere Praktikant, der in ihrer Firma anfängt, auch, und über magische Gedankenübertragung oder was auch immer, wissen sie das beide voneinander, weswegen sie eine Affäre eingehen. In deren Verlauf passiert diese Szene hier, die mich ehrlich gesagt ziemlich gehypt hat (übrigens nicht ausschließlich, weil ich seit Triangle of Sadness und A Murder at the End of the World jedes Mal in mich hineinseufze, wenn ich Harris Dickinson irgendwo sehe!):
Guckt auch mal in den Trailer rein und ihr merkt: Babygirl hat ein gutes Gefühl für Musik und findet für körperliche Anziehung und Begierde in Anbetracht komplexer Machtstrukturen ziemlich gute Bilder. Leider ist das alles, was dieser Film hat.
Sexszenen und schweratmend und rotwangig über Böden und Menschen zu rutschen, kann sehr schnell peinlich wirken. Da Nicole Kidmans Figur sehr schambehaftet ist, scheint diese Peinlichkeit auf einer gewissen Ebene gewollt und ich finde es wirklich mutig, dass Kidman diese Rolle so spielt, wie sie sie spielt. Weil sich gleichzeitig aber alle Beteiligten, bis vielleicht auf Harris Dickinson, darauf geeinigt zu haben scheinen, dass man hier etwas Preisverdächtiges erzählen und irgendwie Kunst machen will, ohne auch nur den Ansatz einer Innenansicht in die Charaktere zuzulassen, lässt sich zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen, warum sich Figuren verhalten, wie sie verhalten und was hier gerade gefühlt werden soll.
Das Ergebnis: Nichts ist wirklich emotional mitnehmend oder sexuell aufregend. Die Handlung stolpert zwei Stunden lang ins Nichts und schlägt sich vorher noch die Knie blutig. Das ist 50 Shades of Grey für Leute, die Filme im Original mit Untertiteln gucken. Nur eben ohne den Versuch einer Handlung.
Babygirl hätte ein Kurzfilm sein können. Oder eine E-Mail.
Was könnt ihr stattdessen gucken?
Secretary von 2002 ist der perfekte Film über Machtstrukturen und Gelüste, die sich verboten anfühlen. Könnt ihr aktuell bei Joyn streamen.
Girls. Nein, wirklich: Wenn ihr wissen wollt, wie man unangenehme und echt wirkende Sexszenen inszeniert, müsst ihr Lena Dunham und Adam Driver dabei zugucken. Gibt’s bei WOW/Sky.
Nymphomanic. Ja ja, Lars von Trier ist ein unerträgliches Arschloch, aber der erste Film seines Zweiteilers über Fantasien, die nicht nur körperlich sondern auch mental wehtun, ist so gut und emotional aufrührend – ich habe im Kino geweint. Echt jetzt. (Der Zweite geht so.) Streamen könnt ihr das wohl bei Amazon Prime.
Und jetzt … Reality-TV-Männer. Again!
Eigentlich könnte ich es bei dem reinen Filmthema belassen. Denn, man mag es nicht glauben: Es macht mir nicht sonderlich viel Freude, mich regelmäßig darüber auszulassen, wie unmöglich sich das Löwentattoo-Gender in deutschen Dating-Formaten verhält. Aber dann kam die aktuelle Folge von Make Love Fake Love.
Das Konzept ist schnell erklärt: Make Love Fake Love ist wie die Bachelorette, nur dass einige der Kandidaten eigentlich in einer Beziehung sind. Wer eine Freundin oder einen Freund hat, weiß sie allerdings nicht. Wenn die Bache… die Frau sich am Schluss für einen Single-Mann entscheidet, gewinnt sie Geld und hat einen Lebensabschnittspartner. Wenn sie sich für jemand Vergebenen entscheidet, gewinnen der und sein Partner oder seine Partnerin Geld. So.
In dieser Staffel sucht die sehr süße Karina nach der Liebe und knutscht dabei ausgiebig und mit mehreren. Männern an einem Tag rum. Was nicht nur dem generellen Spielkonzept entspricht, sondern auch ziemlich klug ist: Denn nur wenn man die Kandidaten in Situationen bringt, in denen sie sich laut ihrer Partner:innen vielleicht gar nicht befinden dürfen, bekommt man ein Gefühl dafür, wer es ernst meint.
Es gibt mehrere Dinge, die mich an Karinas Stelle persönlich abfucken würden. Dass der Großteil der Kandidaten sich zum Beispiel zum Verwechseln ähnlich sieht und dabei sehr genau dem Phänotyp des durchschnittlichen Reality-TV-Teilnehmers entspricht: braungebrannt, Discomuskeln, absurd hässliche Tattoos und Auftreten eines Mannes, der Andrew Tate nur deshalb entfolgt ist, weil der seit seinen Menschenhandel-Gerichtsverfahren nicht mehr so viel postet. Und natürlich die Tatsache, dass kein Typ unter oder um die 30 mehr küssen kann, ohne seiner Angebeteten dabei die Luftröhre zuzudrücken als wäre er Christian Grey mit abgebrochenem BWL-Studium.
Die absolute Frechheit ist aber, dass es mehrere dieser Typen in der aktuellen Folge wagen, Karina als Hure darzustellen. Weil sie mehrere Männer an einem Tag geküsst hat. Männer, die in dieser Show für ein bisschen Geld mit einer fremden Frau rummachen und damit ihre Beziehung aufs Spiel setzen. Männer, für die es männlich ist, mehrere Frauen zu küssen. Wenn Frauen aber das Gleiche machen, sind sie nichts mehr wert. Das Absurde ist, dass genau diese Männer wenige Minuten zuvor noch sehr begeistert mit dieser angeblichen Hure herumgemacht haben. Was geht denn ab, Alter?
Kleiner Vorschlag, wo die Branche doch sowieso verzweifelt versucht, ausgelutschte Dating-Formate wieder interessant zu machen: Castet andere Dudes. Lasst sie vorher Fragen beantworten, Tests machen, irgendwas. Zeigt ihnen 523 Mal am Stück Babygirl, wenn es sein muss. Dann machen sie diesen pseudomaskulinen Handmove zumindest nicht mehr ganz so peinlich. Aber entfernt diese halbaufgepumpten Dullis, deren Selbstbewusstsein fast so fragil ist wie ein fucking Cybertruck, von meinem Fernsehbildschirm.
Ich brauche Ablenkung und Unterhaltung, keine weiteren Männer, die Egofilme fahren und sich anschließend als Opfer inszenieren. (Looking at you, Friedrich Merz!)
Danke.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Was sind eure Lieblingsfilme und -serien, die sich mit Erotik und Begehren auseinandersetzen? Welchen männlichen Reality-TV-Kandidaten habt ihr zuletzt richtig gefeiert? Schreibt es mir in die Kommentare.
🫀 Lisa
Ich weiß echt nicht welche Männlichen Reality TV Kandidaten ich in Heteroformaten je richtig gefeiert hab. Ich weiß nur, dass Kreuztattoos auf dem Sternum für mich dank solcher Formate eine absolute Red Flag sind. Aber ja, ich guck nicht soviel TrashTv und selbst ich finde es ermüdend immer den selben Typ Mann zu sehen.