Der YouTuber und die Minderjährige
Einer der größten Influencer-Skandale, über den (fast) niemand redet, schwelt schon seit Wochen vor sich hin. Jetzt macht endlich jemand den Mund auf.
Ich weiß nicht, ob ihr das kennt: Ihr seid auf YouTube unterwegs und sucht nach irgendetwas, was im Hintergrund laufen kann, während ihr alle zwei Minuten auf euer Handy starrt. Selbst die trashigste Reality-Show wäre zu viel Stimulation. Ihr wollt einfach nur in einem intellektuellen Vakuum existieren. No thoughts, just vibes, manchmal kurz auflachen vielleicht. In einem dieser Momente habe ich den Kanal von Cody Ko gefunden. Der ist einer der größten Commentary-YouTuber überhaupt und der menschgewordene Mittelwert: mittellustig, mittelattraktiv, mittelinteressant. Und damit perfekt für meinen nicht existenten Anspruch an Hintergrundbeschallung.
Cody Ko kommentiert weirde Tinder-Profile und TikTok-Phänomene oder absurde TV-Formate wie Milf Manor, Daemon Targaryens liebste Reality-Show, würde er in Wisconsin und nicht Westeros leben. Cody Ko ist verheiratet und Vater, Cody Ko läuft Marathons und kritisiert übergriffige Männer. Cody Ko ist wholesome – dachte ich. Dann habe ich gehört, dass er als 25-Jähriger mit einer Minderjährigen Sex gehabt haben soll.
Moment, denkt ihr euch jetzt vielleicht, war da nicht erst kürzlich eine ähnliche Geschichte mit Streamern und 17-Jährigen? Und natürlich habt ihr Recht, ihr klugen und wunderschönen Menschen, denn die Welt ist schlecht und Twitch-Streamer die schlechtesten: MontanaBlack (36) wird nachgesagt, seine angebliche aktuelle Freundin kennengelernt zu haben, als die erst 17 Jahre alt war. Dem US-Streamer Dr. Disrespect (42) wird gerade von sämtlichen Werbepartnern und Plattformen der Geldhahn abgedreht, weil öffentlich wurde, dass er sexuell explizite Nachrichten mit einer Minderjährigen ausgetauscht haben soll – auch noch dann, als die ihn eindeutig darauf hinwies, minderjährig zu sein. (Wie alt genau seine Chatpartnerin zu dem Zeitpunkt war, ist nicht bekannt.)
Doch hier geht es um Cody Ko (mittlerweile 33) und auch der wusste, dass das Teenager-Mädchen, mit der er im Rahmen einer YouTube-Veranstaltung geschlafen hat, minderjährig war. In vielen US-Staaten wie Kalifornien (wo Ko seit 2015 lebt) und Florida (wo das YouTube-Event mutmaßlich stattgefunden hat) liegt das “Age of Consent” bei 18 Jahren. Wer jünger ist, kann keine Einwilligung zu Sex mit einem Erwachsenen geben und findet das trotzdem statt, fällt das Ganze unter die Begrifflichkeit “statutory rape” und ist eine Straftat. Dabei ist es total egal, wie “reif” ein Teenager wirkt oder ob die 17-Jährige das Ganze “gewollt” oder sogar selbst initiiert hat oder ob es sich dabei auch um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. In diesem Fall: eine YouTuberin namens Tana Mongeau.
Tana Mongeau (mittlerweile 26 Jahre alt) hatte bereits 2021 in ihrem Podcast Cancelled erzählt, sehr jung gewesen zu sein, als sie eine Affäre mit Cody Ko hatte. Kürzlich wiederholte sie die Geschichte bei einem Live-Auftritt und machte deutlich: Sie war minderjährig. Ein Mitschnitt des Auftritts ging viral, Tana teilte in ihrem Podcast weitere Details und sprach erstmals darüber, wie problematisch sie die Situation im Nachhinein empfunden habe. Sie war Fan, er schon damals der erfolgreiche YouTube-Typ. Eine befreundete YouTuberin habe ihn noch explizit darauf hingewiesen, dass Tana erst 17 sei, Cody sei das egal gewesen.
Es gibt Videos von Mongeau und Ko aus dieser Zeit. In diesem hier starrt er ihr erst auf den Arsch, anschließend will er, dass sie ihm “Teen-Slang” beibringt. You know, weil er ein alter Mann ist. So viel älter als sie. Aber wohl eben auch nicht zu alt, um Sex mit ihr zu haben. Mutmaßlich!
Ich habe euch eben gesagt, dass der Live-Mitschnitt mit Tana Mongeaus Vorwürfen viral gegangen ist. Das klingt nach Konsequenzen, oder? Nach dieser Cancel Culture, die gnadenlos zuschlägt, obwohl es doch die UnScHuLdSvErMuTuNG gibt. In der Realität waren Leute geschockt, passiert ist aber das, was oft passiert, wenn solche Vorwürfe gegen erfolgreiche Männer mit großer Fanbase publik werden:
Tana Mongeau wird von vielen nicht geglaubt, schließlich habe die ein Problem mit Drogen, sei Alkoholikerin und hätte schon mal gelogen, um mehr Aufmerksamkeit und damit Streams/Klicks/wasauchimmer zu generieren.
Die, die ihr glauben, werden nicht gehört. Nachfragen und Kommentare zu dem Thema auf Cody Kos Kanälen werden gelöscht oder ignoriert. Die Moderator:innen seines Subreddits bannen User, die eine Stellungnahme fordern. Angeblich bekommen Leute, die das Wort “Tana” in einem Beitrag verwenden, die Benachrichtigung, gegen die Community-Richtlinien zu verstoßen.
Cody Ko lädt weiter mittellustige, mittelinteressante Videos hoch als wäre nichts gewesen und scheint sich in seiner Position so sicher zu fühlen, dass er das Ganze einfach aussitzt.
Keiner der anderen großen Commentary-YouTuber positioniert sich. Was den Schluss nahelegt: Wer wie Cody Ko nicht nur über 6 Mio. Abonnent:innen auf seinem Hauptkanal, sondern auch ein eigenes Podcastnetzwerk und sehr gute Kontakte innerhalb der Szene hat, dem pisst man nicht ans Bein.
Dann kam meine (hoffentlich unproblematische Fragezeichen Ausrufezeichen) YouTube-Babymaus D’Angelo Wallace:
Wallace zeigt alte Videos, vergleicht Aussagen in ihrer zeitlichen Abfolge und stellt Fragen, die sich jeder stellen sollte, der Cody Ko noch nicht deabonniert hat: Wenn die Vorwürfe falsch sind, könnte Ko sie einfach dementieren. Müsste er ja eigentlich sogar, denn ihm wird eine Straftat vorgeworfen. Nur wenn die Vorwürfe stimmen, macht es Sinn, nichts zu sagen und zu versuchen, jegliche Kritik oder Diskussionen seitens der Fans wegzublocken. Was also sagt es uns, dass Cody Ko so gar nichts sagt? Und wie lange kann er das noch aufrecht erhalten?
Es ist wichtig, dass sich Leute mit Reichweite in solchen Diskursen zu Wort melden und Position beziehen. Das informiert nicht nur Leute darüber, worum es hier eigentlich konkret geht, sondern macht das Thema größer – irgendwann so groß, dass es sich eben nicht mehr ignorieren lässt. D’Angelo Wallace hat 1,6 Millionen Abonnent:innen auf YouTube. Einen Tag später lädt der Streamer MoistCr1TiKaL auf seinem Kanal penguinz0 (15,5 Millionen Abos) ein Reaction-Video zu Wallis hoch. Der H3 Podcast spricht in einem Live-Stream über das Thema. Der Druck steigt. Es hat nur viel zu lange gedauert und auf dem Weg dahin wurde jungen Frauen einmal mehr bewiesen, dass ihnen im Zweifelsfall niemand glaubt. Vor allem nicht, wenn der mutmaßliche Täter beliebt ist. Auf jeden Fall nicht, wenn sie nicht das perfekte Opfer sind.
Hat diese Wall of Text hier irgendeinen Punkt? Gibt es etwas, worauf ich hier hinschreibe? Ja und Nein. Nein, weil ich merke, was für komplizierte Gefühle es in mir aufmacht, wenn sich plötzlich Abgründe in Menschen auftun, die ich als harmlos wahrgenommen habe. Die Illusion, zu erkennen, ob jemand übergriffig ist oder Machtverhältnisse ausnutzt, wurde mir eigentlich schon lange genommen. Abseits des Internets, im Real Life, wie man gesagt hat, als ich ein Teenager war und es noch einen Unterschied zwischen On- und Offline gab. Dass ich doch immer wieder enttäuscht bin, ärgert mich. Aber das ist mein persönliches Problem und bringt uns hier alle nicht weiter.
Aber da ist eben noch das Ja. Ja, es gibt einen Punkt, und der hängt mit den Themen zusammen, über die YouTube-Deutschland spätestens seit den Vorwürfen gegen Annie the Duck diskutiert: Reichweite ist Macht. Die Person, die ihr im Stream oder einem Reaction-Video seht, hat ihm Zweifelsfall nichts mit der Privatperson zu tun und ist ganz sicher nicht euer Freund oder eure Freundin. Und, meine ganz persönliche Erkenntnis aus dieser Cody Ko-Sache: Vertraue niemandem, der aussieht wie der Kinderschokoladenjunge, wenn er für einen Ölkonzern werben würde.
Und jetzt entschuldigt mich, ich muss mir einen neuen Wohlfühl-YouTuber suchen.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Wen guckt ihr gerne auf YouTube? Bitte postet mir eure Empfehlungen in die Kommentare.
Die Reaktion von vielen Cody Ko Fans macht mich so wütend. Da Tana kein "perfektes Opfer" ist, wird sie so durch den Dreck gezogen und ihr wird nicht geglaubt. Absoluter Schwachsinn und auch ein tolles Zeichen für alle, die sich in ähnlichen Situationen befinden und sich jetzt dadurch nicht trauen etwas zu sagen.
Ich gucke gerade wieder viel Rachel Oates, sie beschäftigt sich mit Themen rund um Bücher, Gedichte und Feminismus. Sie hat tatsächlich auch ein Video zu der Cody Ko Situation gemacht. https://www.youtube.com/@RachelOates
Booah, bei jedem neu auftretenden Influencer-Skandal denke ich mir, dass mir das hätte genau so passieren können. Ich bin jetzt 22 und kann mittlerweile ganz gut trennen zwischen "die Videos dieser Person gefallen mir" und "das ist bestimmt ein ganz toller Mensch". Das hätte ich bis vor ein paar Jahren noch gar nicht gekonnt, obwohl ich auch als Teenagerin schon verhältnismäßig gut über sowas aufgeklärt und relativ standfest war. Das ist ja irgendwie das Fiese daran: du kannst die Zielgruppe, die dafür vulnerabel ist, quasi gar nicht richtig erreichen. Genau das wird ausgenutzt. Noch viel schlimmer, dass Opfern immer noch nicht geglaubt wird und dass es für einige Menschen deutlich einfacher ist, sexualisierte Gewalt zu verleugnen als den Wohlfühl-Youtuber zu verlieren.
Youtube-Empfehlung: Taskmaster! Eine britische Spielshow, bei der pro Staffel fünf Comedians komplett absurde Aufgaben erledigen müssen. Man muss die Personen vorher nicht kennen, man wird sie zu lieben lernen! https://www.youtube.com/@Taskmaster/videos