In mir schlummern mehrere Thinkpieces zu Are You The One – Realitystars in Love und Staffel 8 von Selling Sunset ist auch endlich da. Es gibt also genug Dinge, über die ich gerade gerne schreiben würde, idealerweise gegen Geld (zwinker, zwinker), aber wenn nicht anders möglich auch für diese Newsletter. (Der … suboptimal läuft. Well.) Stattdessen sehe ich mich dazu gezwungen, ein paar Worte zu Luke Mockridge zu verlieren, dem Paprikaschmelzkäse der deutschen Comedy-Branche. Nur um sicherzugehen: Das ist kein Kompliment.
Mockridge, wir erinnern uns, wurde 2022 von seiner Expartnerin und über zehn weiteren Frauen sexuell übergriffiges Verhalten vorgeworfen. Gecancelt wurde er damals, entgegen diverser Headlines, Social-Media-Debatten und YouTube-Thumbnails nicht. Er ging wieder auf Tour, bekam im April 2024 in einem Stern-Interview die Möglichkeit, sich ein bisschen selbst zu bemitleiden und war vor drei Wochen im Podcast “Die Deutschen” zu Gast, um das zu sein, was er nicht ist: witzig.
“Cockridge”, ein natürlich ganz und gar nicht als sinister zu lesender Spitzname, spricht im Podcast unter anderem über die aktuell stattfindenden Paralympics und sagt dabei unter anderem das hier:
"Es gibt Menschen ohne Beine und Arme, die wirft man in ein Becken - und wer als Letzter ertrinkt, der hat halt gewonnen."
Das ist nicht witzig, sondern menschenverachtend und folgerichtig haben sich sehr viele Personen darüber aufgeregt. Darunter auch Leichtathlet Mathias Mester, von dem sich Luke Mockridge in der Vergangenheit mal Witze über Kleinwüchsige absegnen ließ. Mehr Details zu den Vorwürfen, diversen Statements etc. pp. findet ihr eigentlich … überall im Internet. Hier zum Beispiel:
(Kein Bock, den YouTube-Kanal vom Podcast hier zu verlinken. Guckt lieber Rezo, da sind die Ausschnitte auch drin.)
Nun fragt man sich natürlich: Wieso sagt ein Medienprofi, der sich in den letzten Jahren angeblich so schlecht mit dem kritischen Feedback auf seine mutmaßlichen Grenzüberschreitungen gefühlt hat, so was? Der muss doch wissen, wie solche Witze aufgenommen werden?
Bestimmt weiß er das. Und meine Theorie ist: Genau deswegen hat er das gesagt.
Denn zu seinem kuscheligen Kölnboy-der-manchmal-einen-schlimmen-Witz-macht-aber-ansonsten-harmlos-ist-Charme kommt er nicht mehr so einfach zurück. Das zeigten die Online-Reaktionen auf sein Stern-Interview. Wer in Gefahr ist gecancelt zu werden, erschließt aber eine ganz neue, sehr laute und engagierte Zielgruppe. Ich nenne sie mal die “Anti-Woke-Front”.
Diese Leute sind sofort zur Stelle, wenn einem prominenten Mann sexuelle Übergriffigkeit vorgeworfen wird. Sie sehen in jeder Kritik eine unzulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit. Und ihr absolutes Crack ist es, wenn Comedians Witze machen, die als geschmacklos oder menschenfeindlich wahrgenommen werden.
Diese Leute setzen sich öffentlich für ihre vermeintlichen Leidenskameraden ein, diese Leute unterstützen ihre Ikonen des schwarzen Humors über Patreon oder verteilen Donations über Twitch. Und diese Leute kaufen vielleicht auch zum ersten Mal in ihrem Leben ein Ticket für eine Mockridge-Show, wenn sie das Gefühl haben, dass der ihnen gibt, was sie im Mainstream so sehr vermissen: Humor, der so lange nach unten tritt, bis das künstliche Hüftgelenk nicht mehr mitmacht.
Luke Mockridge hat sicher nicht damit gerechnet, dass Sat.1 (hier stand fälschlicherweise zuerst “das ZDF”) für eine kommende Show nun doch nicht mehr mit ihm arbeiten will. (Interessant, dass sie das überhaupt wollten, aber gut, wen von uns überrascht in dieser Zeit und diesem Klima überhaupt noch irgendwas.) Darüber wird er sich sicherlich ärgern. Aber Mockridge, und da bin ich mir ziemlich sicher, wusste ganz genau, was er in diesem Podcast sagt, warum er das sagt und wem er damit mitteilen will: Hey, ich bin immer noch euer Free-Speech-Boy, der woke Mob hat mich nicht in die Knie gezwungen, ich mache noch die Witze, die allen wehtun, außer Menschen wie mir.
(Ich lebe nicht in Mockridges Kopf. Das ist kein wörtliches Zitat, sondern eine zugespitzte Zusammenfassung meiner Theorie.)
Das ist das Gegenteil von Virtue Signaling, das ist Edgelord Signaling und glaubt mir, wenn ich sage: Manchen Leuten kann an einem bestimmten Punkt ihrer Karriere nichts besseres passieren als “gecancelt” zu werden.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Wen wolltet ihr schon immer mal canceln? Schreibt es mir in die Kommentare.
🫀 Lisa
Ich vermisse die Zeiten, als Stefan Raab und Lisa Loch Witze das Menschenverachtendste in der Medienlandschaft war…
Edgelord Signaling, danke für diese Ergänzung meines Wortschatzes.
Artikel, wie üblich, erste Sahne!