Hi Friendos,
letzte Woche kam kein Newsletter, denn es war Feiertagswochenende und ich habe mich mit Menschen umgeben, die ich liebe. Zum Teil außerhalb von Berlin, weswegen ich keine Zeit hatte, an meinem viel zu kleinen Schreibtisch zu sitzen und diesen Text hier zu tippen. Ja, diesen Text. Auch wenn vergangene Woche ein Newsletter gekommen wäre, es wäre der Gleiche wie jetzt gewesen.
Ich habe am Karfreitag erst Sinners (natürlich musste für den deutschen Markt ein “Blood &” davorgeklatscht werden, damit Annika und Rolf verstehen, dass es um Vampire geht) und dann Warfare gesehen und seitdem nicht aufgehört, darüber nachzudenken, warum ich den einen so sehr liebe und bei dem anderen nach wie vor nicht sagen kann, wie ich zu ihm stehe.
Das Gute ist: Ein Teil dieser Diskussion mit mir selbst kann ich eigentlich recht schnell auflösen. Sinners ist der sehenswerteste Film, den ich seit längerem gesehen habe. Ja, es geht um Vampire – auch, nicht nur und wenn, dann eher vordergründig –, vor allem aber um die Lebensrealität der Schwarzen Bevölkerung im Mississippi Delta der 1930er Jahre.
Der gute Film: (Blood &) Sinners von Ryan Coogler
Eine Welt, die sich auch fast 100 Jahre später gar nicht so sehr verändert hat, denn egal wie sehr sich die Figuren in Sinners an das christlich-weiß dominierte Amerika anpassen, wie hart sie arbeiten, ob sie ihr kulturelles und religiöses Erbe weiter zelebrieren oder nicht, am Ende holt sie immer die Erkenntnis ein: Diese rassistische Gesellschaft wird sie nicht als gleichberechtigt ansehen. Nicht im Jetzt und vielleicht nie.
Sinners erzählt von der Suche nach einer starken Gemeinschaft, der Angst davor, ausgelöscht zu werden, der Freiheit, sich selbst auszudrücken und was passiert, wenn all das nur möglich scheint, in dem man im wortwörtlichen Sinn einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Regisseur und Autor Ryan Coogler ist mit erst 38-Jahren einer der wichtigsten und visionärsten Filmschaffenden, die Hollywood aktuell zu bieten hat. Mit Sinners hat er sich selbst übertroffen – und ganz nebenbei einer der gänsehautinduzierendsten Musikszenen abgeliefert, die ich je in einem Film gesehen habe.
Das klingt alles etwas gestelzt und um ehrlich zu sein, flüchte ich mich in Feuilleton-Sprache, wenn mir die Worte fehlen, um mein Inneres zu beschreiben. Ich habe Sinners gesehen und gelacht und geweint und im Kampf gegen die Vampire innerlich selbst einen Molotow-Cocktail angezündet, nur um mich anschließend mit den Hauptfiguren zu fragen: Lauert das wahre Böse nicht ein paar Kilometer weiter und hat noch die Klan-Kutte im Schrank?
Ein guter Film unterhält und wirft Fragen auf und lässt mich fühlen. Ein guter Film macht empathisch. Davon bin ich überzeugt. Deswegen solltet ihr alle Sinners (wie gesagt, in Deutschland Blood & Sinners) sehen. Und danach den Midnight Boys, einem meiner Lieblings-Podcasts, dabei zuhören, wie sie auf YouTube oder einem Podcast-Anbieter eurer Wahl darüber sprechen.
Der ???-Film: Warfare
Zu gleichen Teilen euphorisiert und aufgewühlt habe ich also den Kinosaal verlassen, um mich direkt in den nächsten zu setzen. Ich bin kein Fan von Kriegsfilmen, aber ich mag Alex Garland und … OK, um ganz ehrlich zu sein: Der Abend war noch jung, ich wollte noch nicht nach Hause, ich habe ein Kinoticket-Abo und sonst lief nichts mehr, was ich hätte schauen können. Also habe ich mir einen Film über den Irak-Krieg reingezogen aus der Perspektive US-amerikanischer Soldaten. Diesen hier:
Die Handlung von Warfare lässt sich recht schnell zusammenfassen: Eine Gruppe primär junger US-Soldaten besetzt ein Wohnhaus. Es geht darum, ein umkämpftes Gebiet zu sichern, oder so ähnlich, eigentlich ist es total egal, denn schnell geht es um etwas anderes: Die US-Soldaten sind bald von irakischen Kämpfern umstellt und kämpfen schließlich nur noch dafür, evakuiert werden zu können.
Ich sitze im Kinosaal, starre bewegungslos auf offene Fake-Wunden, weggesprengte Beine, in Gesichter voller Horror und Schmerz. Ich denke an die US-Soldaten, die ich selbst schon kennengelernt habe. Die nach einem Bier zu viel anfangen zu weinen und über Situationen sprechen, die nicht genau so sind wie diese im Film, aber ähnlich. Doch ich fühle mich ihnen nur kurz näher als zuvor und dann weiter entfernt als jemals, denn ich verstehe auch etwas anderes.
Der Film ist so nah an seinen offensichtlichen Protagonisten, dass die Iraker:innen neben ihnen komplett verschwinden. Wir sehen sie als schreiende Behinderung einer Operation, die ohne jede vorherige Absprache in ihrem Wohnhaus stattfindet. Wir sehen sie durch das Zielfernrohr eines Scharfschützengewehrs, bewaffnet auf Dächern, zusammengeduckt, wenn ein Kampfjet dröhnend über Wohngebiete fliegt, um die Dominanz und Stärke der US-amerikanischen Truppen zu demonstrieren.
Was macht einen Film denn nun gut?
Angeblich ist jeder Kriegsfilm ein Anti-Kriegsfilm. Es ist möglich, Warfare als einen Versuch zu sehen, den Irakkrieg als unmenschliches Verbrechen zu framen, wenn auch über Umwege. Der Film zeigt die Perspektive von US-Truppen, in der sie glauben müssen, die unanfechtbar Guten zu sein und die anderen keine Menschen sein dürfen, sondern Böses in Menschenform, damit es einfacher ist, auf sie zu schießen.
Die Erzählung um den Film macht es allerdings einfacher, diese Dunkelgraustufen auszublenden, und ihn als spektakulär inszenierte aber inhaltlich recht klassische “Krieg ist schlimm, aber vor allem für ‘unsere’ Jungs”-Geschichte zu sehen. Hinter Warfare steht nämlich nicht nur Alex Garland, sondern auch Ray Mendoza, der genau diesen Einsatz miterlebt hat. Warfare existiert eben auch, um einem seiner Kollegen, der bei ebendieser Aktion schwerst verletzt wurde, ein Denkmal zu setzen. Dass in dieser heroisierten Traumaaufarbeitung kaum Raum für die Gegenseite ist, ist verständlich, aber auch … schwierig. Ich finde es schwierig.
Dass dieser Film beides zulässt, macht ihn komplex. Filmisch gesehen ist er beeindruckend. Aber ist er gut? Oder anders gefragt: Möchte ich, dass ihn möglichst viele Menschen sehen, dass er mit Auszeichnungen überhäuft wird und andere Filmschaffende inspiriert?
Das sagt Mendoza selbst gegenüber dem Guardian
Ich streite seit zwei Wochen mit mir darüber und weiß. es. einfach. nicht. Ein Teil von mir kann anerkennen, dass Kunst ja eben das soll – etwas auslösen. Emotionen, aber auch Diskussionen. Warfare fordert mich, weil ich daran scheitere, zu einem Ergebnis zu kommen. Ein anderer Teil wird dieses Schotterstein-unter-nackten-Fußsohlen-ähnliche Gefühl nicht los, dass ich diese Erzählung, diese Weigerung, irgendeine Art von politischer und humanistischer Verortung vorzunehmen, verantwortungslos finde.
Die wahrscheinliche Auflösung dieses inneren Konflikts ist: Ein Film kann “gut” sein und trotzdem unverantwortlich. Ich kann anerkennen, welches Können auf allen Ebenen hier eingeflossen ist, und ich muss ihn trotzdem nicht nochmal sehen wollen. Deswegen glaube ich auch nicht daran, Filme anhand einer Zahlen- oder Sterneskala zu bewerten. Sagt mir lieber, was ein Film mit euch macht.
Auch Sinners hat Graustufen, aber feiert Zusammenhalt, der nicht die Zerstörung alles anderen bedingt. Vielleicht mag ich auch einfach keine Kriegsfilme.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Habt ihr Blood & Sinners und/oder Warfare gesehen? Wie fandet ihr sie? Und die für mich wichtigste Frage, wie ihr meinem zunehmend verzweifelten Ringen um eine Einodnung von Warfare vielleicht schon entnommen habt: Was müssen Kriegsfilme für euch leisten und was nicht? Schreibt es mir in die Kommentare.
🫀 Lisa
Ich hab Warfare (in einer Sneak, also sehr unvorbereitet und ohne überhaupt einen Trailer zu kennen) gesehen. Und ich muss sagen, ich bin aus dem Film gegangen mit einem absolut aufgewühltem Empfinden, aber vor allem mit einer großen Abneigung gegen Krieg. Gerade die letzte Szene hat in mir ausgelöst, dass all dieses Leid und diese grausamen und fast schon nicht mehr aushaltbaren Momenten zu nichts geführt hat. Das keine der beiden Seiten, weder Iraker noch US-Amerikaner hier einen Gewinn gemacht haben, es gab nur Verwüstung und Tote. Es ist also nicht so, dass ich wirklich Mitleid mit den Amerikanern hatte, auch wenn die in dem FOkus standen. Mit dem Individuen habe ich zwar mitgefühlt, im Großen und Ganzen ist bei mir aber zurückgeblieben wie sinnlos der Krieg doch häufig (wenn nicht sogar immer) ist...
Fand Sinners top, habe mir sogar imax gegeben.