Liebe Freund:innen dieses Newsletters,
mehrere Tage habe ich mich in Anbetracht der aktuellen Weltlage gefragt, ob hier und heute lieber ein bewusst positiver, potenziell quatschiger Text erscheinen sollte. Dann habe ich entschieden …
Nö. Keine Kapazität für Fun.
Stattdessen irgendwas zwischen Wut und Verzweiflung. Wahrscheinlich nicht sonderlich flüssig lesbar und inhaltlich hochgradig angreifbar und das nicht nur, weil eine Art Dübel in meinen Kiefer einheilt und ich seit Tagen größere Mengen Schmerzmittel zu mir nehme.
Der eigentliche Grund ist: Dünn sein als über allem stehende Schönheitsdoktrin ist zurück. So sehr, dass TikTok den Hashtag “skinnytok” blockiert, damit junge Menschen weniger potenziell lebensgefährliche Abnehm-Tipps in ihrer Timeline haben.
Alle, die es sich finanziell leisten können oder hormonell dazu in der Lage sind, nehmen ab. Große Modeketten nehmen ihre schrumpfende Plus-Size-Auswahl aus dem Laden-Sortiment und verstecken sie im Online-Shop. Das hier ist keine evidenzbasierte Untersuchung, aber: Es ist Jahre her, dass ich das letzte Mal so offene und komplett schambefreite Dickenfeindlichkeit in Online-Kommentaren und Nachrichten gelesen habe wie das, was sich aktuell in meine Netzhaut brennt.
Wohin also mit Körpern wie meinem? Irgendwohin, wo ihn niemand sieht?
Ich bin dick, solange ich denken kann. Auch, weil ich krank bin, solange ich denken kann. Weil mich die Gesellschaft dafür ablehnt, habe ich gelernt, mich selbst abzulehnen. Ich lebe in einem metabolischen Teufelskreis, aus dem ich nicht entkommen kann und ich sage mal so: Es wird nicht besser dadurch, an jeder Ecke medial entgegen gebrüllt zu bekommen, dass die Zeiten, in der ich mal kurz als ansatzweise wertneutraler Mensch durchgehen durfte, vorbei sind.
Ich bin kein Fan von Hashtag-Aktionismus, weil ich nicht glaube, dass er langfristig etwas ändern kann. Gerade jetzt nicht, wo Hashtags wie Relikte einer vergangenen Social-Media-Zeit wirken und damit ähnlich boomerig anmuten wie lustige Katzenvideos. #bodypositivity hat bei aller positiven Wirkung nicht grundlegend verändert, wie die westliche, vor allem weiße Gesellschaft auf Körper blickt.
Mit Akzeptanz erzeugt man keine Ungleichheit, die das eigene Ego füttert. Keinen Need, der sich zu Geld machen lässt. Ich meine, monetarisiere mal käufliche Selbstoptimierungsmaßnahmen, wenn jeder glaubt, schon irgendwie okay zu sein. Dabei wäre ein Mut zum “irgendwie okay”-Sein der schnellste Weg aus der Selbsthass-Ökonomie.
Ich will keine Body Positivity zurück und brauche auch sonst keine geblockten oder geförderten Online-Kampagnen, die mir sagen, wie ich mich selbst zu finden habe. Ich will, dass ihr meinen scheiß Körper alleine lasst.
Nicht zuletzt auch, damit ich mich nicht vor jedem Arbeitsevent, vor jeder sportlichen Aktivität, die mir nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gut tut, frage: Habe ich heute die Energie und Stärke, die Unförmigste im Raum zu sein und abwertende Blicke zu ertragen? Oder bleibe ich lieber da, wo es sicher ist – Zuhause?
Wenn ich in keinem Geschäft Klamotten kaufen darf, in die ich passe, weil selbst vermeintlich divers aufgestellte Fashionketten Leute wie mich nicht in ihren nach Plastikfasern riechenden Neonlicht-Folterkammern haben wollen, hilft es mir auch nicht, wenn irgendeine Influencerin mit Kleidergröße 42 sagt, dass wir alle schön sind.
Wenn eine 14-Jährige ausschließlich Personen in Size Zero vor die Nase gesetzt bekommt, ist es auch scheißegal, ob das ganze mit #skinnytok verhashtaggt ist oder mit #weightlossjourney. Das Gefühl ist gesät.
Vielleicht ist es unfair, von der Gesellschaft eine Veränderung zu verlangen, die ich selbst nicht vollziehen kann: Attraktivität (sprich: Was europäisch-weiße Standards sagen, was attraktiv ist) nicht zum bestimmenden Faktor des eigenen Wertes als Mensch zu machen.
Andererseits: Wer hat mich denn überhaupt erst auf diese Idee gebracht?
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Was macht ihr, wenn ihr euch mit euch selbst besser fühlen wollt? Schreibt es mir in die Kommentare.
🫀 Lisa
Liebe Lisa, bisher habe ich kein Rezept gefunden, wie ich mich besser fühlen kann. Aber da ich schon nach dem letzten Podcast das Bedürfnis hatte, sage ich es jetzt: ich finde dich schön!
(und dafür habe ich mich hier jetzt extra angemeldet)
Ich mag es gar nicht sagen - aber mir hat es tatsächlich geholfen, täglich zu meditieren…und da in diesen zustand von „ich bin nicht mein körper, ich habe einen körper“ zu kommen. der abstand tut gut und so fällt es mir auch leichter, gut mit meinem körper zu sein.
und: älter werden. ich bin jetzt ende vierzig und vieles wird mir echt egaler. und dieser ganze wahn jetzt wieder, ruft eher das gegenteil bei mir hervor. so nach dem motto „jetzt erst recht“ sichtbar sein. für sich und für das nicht-skinny mädchen, das sehen muss, dass es andere frauen gibt, die auch geil sind und ihr leben leben.