Ich bin nicht mehr die Jüngste. Das ist recht offensichtlich, wenn ich mich auf die Fältchen um meine Augen fokussiere, hier geht es aber nicht um Äußerlichkeiten oder die unerträgliche Ungerechtigkeit die der gesellschaftliche Umgang mit Frauen ist, die älter als 30 sind. In diesem Newsletter-Post geht es um die Tatsache, dass ich alt genug bin, um in den 2000ern Teenager gewesen zu sein und demzufolge die besten Social-Media-Plattformen aller Zeiten miterlebt zu haben: MySpace und Tumblr.
Das Internet, wenn man das so verallgemeinernd überhaupt sagen kann, war damals ein ziemlich wilder Ort. Inhaltlich sowieso, aber auch visuell. Alles war ein bisschen schwerer zu bedienen und hatte ganz generell die designtechnische Sexyness eines Einwohnermeldeamt-Kontaktformulars. Aber – und das war das Wundervolle – wer wollte und konnte, hatte die Freiheit, sich als Möchtegern-Grafikdesigner:in komplett auszutoben. Als Social-Media-Nutzerin habe ich heute lediglich die Möglichkeit, durch hochgeladene Inhalte irgendeine Form von Individualität und Selbst zu kommunizieren. In den 2000ern und frühen 2010ern war schon das Profil selbst ein individualisierbares Erlebnis.
Wie große Teile meiner Internetgeneration habe ich durch MySpace die Grundlagen von HTML gelernt – ein Skill, der seitdem in meinem Lebenslauf steht und mir schon bei mehreren Jobs (von Studium über Museumswebsite-Erweiterung und -Strukturierung bis all things Medienbranche) geholfen hat. In Foren gab es Design-Vorlagen, die sich beliebig anpassen ließen. Wer nichts passendes fand, suchte auf eigene Faust Farb- und HTML-Codes, einbindbare Videos, Gifs und Fotos oder bastelte sich in einer raubkopierten Version von Photoshop einfach selbst Grafiken. An meinem Profil saß ich damals Stunden.
Es bricht mir das Herz, dass die Wayback Machine nicht mein wundervolles Profil-Design gespeichert hat (Archiv-Screenshot von 2008 oder so)
Die Hauptfarben waren Schwarz, Weiß und erst ein rostiges Blutrot, später ein blaulastiges Türkis. Das Video zu Björks “Jóga” lief lautlos am linken Rand, für den Vibe. Über den integrierten Musikplayer startete automatisch immer der Song, über den ich meine aktuelle Gefühlslage transportieren wollte. Wer mein Profil aufrief, musste gar nicht einen meiner mal melodramatischen, mal sehr wütenden Blogeinträge lesen oder sich durch meine Fotos klicken. Er oder sie bekam auch so einen ziemlich guten Eindruck von mir als Person. Ich habe mehrere echte Freunde über MySpace kennengelernt und sehr viel neue Musik gefunden. Was würde ich heute dafür geben, zu wissen, welche 89 Songs (laut Wayback Machine) damals in meiner MySpace-Playlist waren.
Ende der 2000er verlangte es mir nach einem Netzwerk, dass sich neuer und cooler anfühlte. Ich war primär traurig, mittlerweile ziemlich sicher, depressiv zu sein und permanent heartbroken. Permanent auf der Suche nach Sadness-Inspo, hochästhetisiertem Nihilismus und den perfekten Songzeilen und Filmszenen-Gifs zu meiner instabilen Gefühlslage, landete ich schließlich auf Tumblr.
Screenshot meines Post-Archives
Tumblr war das ultimative Blog-Tool. Je nach Design, das sich ebenfalls über HTML anpassen ließ, konnte man seinen Fokus auf Bilder oder Text legen. Beiträge anderer Blogs ließen sich problemlos auf dem eigenen Profil teilen, über Tags fand man schnell ähnliche Inhalte. Wegen Tumblr weiß ich (und wahrscheinlich auch der Rest der Welt), was Fandoms sind. (Danke, Cumberbitches!) Ich habe eine meiner absoluten Lieblings-Cartoonzeichnerin über Tumblr gefunden und dutzende Filme, Serien und Bücher, auf die ich sonst nie aufmerksam geworden werde. Wegen Tumblr habe ich angefangen, Skins zu gucken, goddammit!
Auch wenn ich nicht die Person vermisse, die ich damals war, vermisse ich doch die Seite und das Gefühl, mich in einem virtuellen Raum voller Irgendwie-Gleichgesinnter zu befinden.
Ich (links), 2011 oder 2012: Überbelichtung ist unser Filter
Kürzlich habe ich mir die Tumblr-App heruntergeladen, im verzweifelten Versuch, meiner Nostalgie einen neuen Ankerpunkt zu geben. Aber die Zeit ist vorbei. Social Media ist kein virtueller Ort mehr, es hat die komplette Realität durchdrungen. Wenn ich durch unbekannte Städte laufe, überlege ich, welcher Ausschnitt meines Sichtfeldes gut in eine Insta-Story passt. Ich denke an Engagement und Aufrufzahlen und wie ich mich positionieren sollte, weil Medienmenschen überall für sich werben müssen und jedes öffentliche Profil zum Teil des Lebenslaufes wird.
Wenn ich in 20 Jahren auf meine Social-Media-Accounts zurückblicke, werde ich keinen Teil meiner Persönlichkeit mehr sehen. Nur bunte Kacheln auf standardisiertem Hintergrund, die von beruflichen Meilensteinen und idealisierten Urlauben erzählen. Und das lässt mich nicht nur sehr, sehr alt fühlen, sondern auch unglaublich müde.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Was ist eure liebste Social-Media-Plattform und warum?
Ich vermisse die Gestaltungsfreiheit von alten Social Media Plattformen und dass sich einfach alles angefühlt hat, als würden auch die anderen Personen ihr Hobby und ihre Kreativität ausleben. Ich bin 2002 geboren, habe also die Anfänge von Instagram und co. noch in einem Alter mitbekommen, in dem ich noch das falsche Geburtsdatum angeben musste, weil ich noch nicht 13 war. Ich vermisse die Instagram-Bilder mit so vielen Filtern, dass man jeden Pixel einzeln zählen konnte. Als Tumblr noch so ein komisches Nerd-Ding war (Superwholock!) und selbst Stars wie John Green und Taylor Swift einfach mal geguckt haben, was da so passiert.
Mittlerweile teilt sich mein Instagram-Feed auf in meine Freund:innen, die gar nichts posten (außer vielleicht der ein oder anderen sorgfältig ausgewählten Story) und irgendwelchen Stars und Influencer:innen, deren Bilder eben komplett durchprofessionalisiert sind. Ich vermisse diese Phase, wo man einfach wildfremden Menschen alles über sich und seine Hobbys erzählt hat - und das auch in einer allgemeinen Stimmung geschah, in der das irgendwie ging. Wo man einfach mal was ausprobiert hat. Mittlerweile schreien sich alle permanent an.
Ich benutze Reddit noch, weil es einfach keine gute Alternative gibt, wenn Freund:innen nicht dieselben Serien schauen, Podcasts hören, Hobbys haben, etc. und man mit irgendwem drüber sprechen muss, aber auch das macht nicht mehr so viel Spaß. In meiner Jugend (also vor drei, vier Jahren :D) fand ich den Eskapismus noch sehr toll, mittlerweile versuche ich, einfach die Menschen in meinem Umfeld mit meinen Interessen zu nerven. Ich habe vor ein paar Jahren noch hier und da Freundschaften geschlossen, mittlerweile ergibt sich sowas nicht mehr wirklich. Man folgt einfach Leuten, von denen man irgendwie Fan ist. Das Höchste der Gefühle ist noch, wenn man irgendwo mal kommentiert. Irgendwie schade.
Meine Frau und ich haben uns 2002 auf MTV Groupies kennengelernt und das sagt alles über das damalige Internet. Ich vermisse es.