Das Gruseligste an Vergewaltigungs-Videospielen sind ihre Fans
Dieser Text ist eine einzige Trigger-Warnung.
Vielleicht habt ihr es mitbekommen, vielleicht nicht, aber in den vergangenen Tagen ging eine Nachricht durch die Medien, die ziemlich krass klingt: Von der Gaming-Plattform Steam wurde nach größeren Online-Protesten ein Spiel entfernt, in dem es darum geht, Frauen zu vergewaltigen. Darunter auch die eigene Mutter.
Das Spiel heißt No Mercy und entfernt wurde es nicht von Valve, der Firma hinter Steam, sondern vom Entwicklerstudio selbst. Aber natürlich nicht ohne ein dramatisches Statement, in dem man sich als komplett missverstandenes Team aus “normalen” Menschen stilisierte, dass doch eigentlich nur einen sicheren Ort schaffen wollte, an dem Inzest- und Vergewaltigungsfetischisten ihre Fantasien ausleben können.
Die traurige Realität ist, dass es bereits sehr viele dieser Spiele gibt und in Zukunft geben wird. Nicht nur in irgendwelchen Schmuddelecken des Internets, auch bei Steam, die sich seit Jahren Vorwürfen zu fehlender Inhaltsmoderation ausgesetzt sehen und das Zurecht. Denn: Es gibt ein Publikum dafür.
Tatsächlich widerstrebt es mir, diesem Spiel noch mehr Aufmerksamkeit zu geben, als es sowieso schon bekommen hat. Aber wie viele Menschen sich in Kommentarspalten auf Reddit, YouTube, Twitter, wo auch immer, dazu genötigt sehen, vermeintlich ergebnisoffen zu fragen, warum dieses Spiel denn schlimmer sei als GTA oder irgendein Shooter, in dem man Pixelfiguren tötet, eigentlich aber kleinreden wollen, was in diesem Spiel passiert – darüber ist es mir wichtig zu sprechen.
(FYI: Im folgenden Text gibt es keine konkrete Beschreibung von sexueller/sexualisierter Gewalt, es geht aber grob um verschiedene Arten von Gewaltdarstellungen im Allgemeinen und was Vergewaltigungen anders macht.)
No Mercy ist eine peinliche Incel-Fantasie
Die ersten zwanzig Minuten des Spiels sind auf YouTube und ich bin fast überrascht, festzustellen: Eigentlich passiert erstmal gar nichts, außer sehr viel unendlich peinlicher innerer Monolog, komplett hanebüchenes Worldbuilding und ein Fremdscham-Tutorial sondergleichen, das den Spieler auf das kommende Erlebnis einstimmt. Du bist ein junger Mann, du willst Frauen “dominieren” und hey, kurze Frage, bevor wir dich in deine Fantasie entlassen: Ist die blonde Frau, die du später vergewaltigen kannst, wenn du genug Dominanzpunkte gesammelt hast, deine leibliche Mutter oder deine Stiefmutter?
(Dieses Video enthält frauenfeindliche Beleidigungen und sexuelle Anspielungen, aber (noch) keine Gewaltdarstellungen)
Ich habe viele Fragen zu den Entscheidungen, die hier getroffen wurden. Was soll das für eine Universität sein, bei der Vorlesungen am hellichten Tag abgebrochen werden, weil die Deckenlampe nicht funktioniert, obwohl das Sonnenlicht durch die sehr großen Fenster stark genug ist, um das absurde Outfit der Mutter des Protagonisten, die (natürlich!) auch noch seine “Lehrerin” ist, perfekt auszuleuchten? Seit wann spricht man in Unis überhaupt von “Lehrerinnen”? Und wieso kündigt die Mutter des Typen, dem der Protagonist Drogen verkauft, an, sich mit dem Protagonisten auf dem Parkplatz der Uni zu treffen, ihr Auto ist dann aber GANZ OFFENSICHTLICH auf einer Seitenstraße in einer Wohngegend geparkt?
Jede Porno-Parodie hat weniger Continuity-Probleme und Logikfehler. Und in der Regel Verträge, auf denen vorher klar festgelegt wurde, wozu die Akteurinnen und Akteure bereit sind und wozu nicht, aber gut, das würde im Spiel natürlich die Vergewaltigungsfantasie sprengen.
Dieser Gameplay-Einstieg sieht in jedem Fall aus, als hätte ihn sich ein 15-jähriger 4chan-User zwischen verkrusteten Socken zusammenfantasiert. Eine beschissen animierte Fanfiction für jeden Loser, dessen Vorstellung davon, was ein cooler, maskuliner Mann ist, aus einer Window-Color-Vorlage für Incels stammt. Meine Güte.
Wer diese Art von Spiel verteidigt, dem kann es gar nicht um ungewöhnliches Gameplay, moralisch herausforderndes Storytelling oder ganz generell die Kunstform interaktive Unterhaltungselektronik gehen. Das hier ist ein schlecht zusammengeklöppelter Deckmantel von einem Spiel für Männer, denen nur einer abgeht, wenn sie ihren Frauenhass sexuell ausleben können. Und damit das auch den Spielern (bewusst generisches Maskulinum!) von Anfang an klar ist, bekommen sie direkt zum Einstieg den Hinweis, dass sich die einfachste Schwierigkeitsstufe am Besten dafür eignet, sich schnell einen runterzuholen.
Quelle: YouTube/massimosolo
Warum ich nicht per se Probleme mit Gewalt in Videospielen habe
Ich habe unendlich viele Sims im Pool ertränkt, in GTA San Andreas bis GTA V anonyme Passanten überfahren und ganz generell ausgetestet, wie das Spiel darauf reagiert, wenn ich irgendetwas Extremes tue. Aber wisst ihr was? Ich habe nicht deswegen gespielt. Als mich eine Mission in GTA V dazu gezwungen hat, einen Mann zu foltern, der weint und schreit und um sein Leben bettelt, habe ich das Spiel tagelang nicht mehr angerührt.
In Shootern schieße ich, weil alle anderen auf mich schießen. Wenn ich nicht töte, werde ich getötet. Und ich bin die Heldin dieser Geschichte oder habe zumindest einen Kontext, aus dem heraus meine Taten Sinn machen. In Multiplayer-Spielen flucht die Person, die abgeschossen wird, und ist spätestens in der nächsten Runde wieder dabei. Das ist kein Mord. Das hier ist nicht die Realität. Das ist ein Wettbewerb.
Es gibt verschiedene Formen von Gewalt in Videospielen und auch wenn niemand Amok läuft, weil er Counter Strike gespielt hat, sollten wir kritisch darüber sprechen, wie ein Call of Duty Militär und Kriegsverbrechen glorifizier. Genau hingucken, gegen wen Gewalt ausgeübt und welche Art von Gewalt in einem Spiel entschuldigt wird. Welche Intention der Spieleentwickler:innen dahinter steht und was das mit uns als Spielenden macht.
Videospiele müssen mich nicht zur Heldin machen. Ich brauche kein Happy End. Ich mag Graustufen. In Baldur’s Gate 3 habe ich mit einem Charakter mehrmals bewusst “böse” Entscheidungen getroffen (und nur die Hälfte sofort danach bereut). Ich war schon Mafiapatin, auf Pferde fluchende Rennstallbesitzerin, ehebrechende Hausfrau, habe als Commander Shepard für eine Terroreinheit gearbeitet und ja, als Trevor Philipps in GTA V einen Mann gefoltert, bevor ich Tage später wieder zu lauter Musik durch einen digitalen Nachbau von Los Angeles geschlendert bin und Spaß hatte.
Kurzer Einschub, weil wir jetzt alle ein Fun-Video brauchen, um uns kurz mental zu entspannen: So spiele ich Mass Effect)
Aber wisst ihr, was ich mir in keiner Version einer Realität vorstellen kann? Freiwillig und bei vollem Bewusstsein in die Rolle eines Vergewaltigers zu schlüpfen um … welche Fantasie genau auszuleben? Ach ja, stand ja auf der Steam-Seite: “Make all women yours”.
Warum sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt … anders ist.
Vergewaltigung ist keine optionale Aktion, die das Spiel einem als moralischen Zwiespalt suggeriert oder als einen der Wege, das Spielziel zu erreichen. Es gibt keinen entschuldigenden Kontext, kein höheres Ziel bei sexueller/sexualisierter Gewalt außer die eigene Befriedigung und den Wunsch, jemand anderem Schmerz zuzufügen. Die Gewalt ist kein Mittel zum Zweck, sie ist der Zweck.
Stellenweise halte ich es für sinnvoll, Themen wie sexualisierte Gewalt in einem verantwortungsvollen Kontext zu thematisieren, weil ein interaktives Medium ungleich mehr sensibilisieren kann. The Day The Laughter Stopped ist ein kostenloses Browser-Game, das ich hier positiv in Erinnerung habe und unter anderem mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde.
Was stark sensibilisieren kann, kann aber eben auch stark traumatisieren, deswegen müssen sich Entwicklerstudios ihrer Verantwortung bewusst sein. Was damit beginnt, aus welcher Perspektive man ein solches Szenario spielt. Und in Spielen wie No Mercy ist man nicht nur in der Rolle, sondern ganz offensichtlich auch auf der Seite des Täters.
Dass es hunderte, wenn nicht tausende Menschen gibt, die diese Spiele spielen, finanzieren und behaupten, dass das alles nur Fantasie ist und mit der Realität nichts zu tun habe, während in der Realität frauenfeindliche Rhetorik und politische Initiativen immer radikaler werden. Dass diese Art von misogyner Radikalisierung mittlerweile so sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint, dass Leute sich nicht mal mehr dafür schämen, Dreck wie No Mercy zu verteidigen – das macht mich wütend. Weil wütend sein sich wehrhafter anfühlt, als zuzugeben, dass mir das alles eigentlich ziemliche Angst macht.
Oder um es mit einem/einer Reddit-User:in zu sagen:
“There are obviously some people with fantasies involving rape who can distinguish between real life and their fantasies and who can engage with the fantasy in healthy ways with CNC [Consent to No Consent], but for some reason I don’t think the developers of the incest rape game where you become ‘every woman’s worst nightmare’ are like that”
Nächste Woche dann wieder ein schönes Thema, ich schwöre.
🫀 Lisa
Ich kannte diese Debatte nicht. Danke für diese deutliche Klarstellung. Es braucht so viele weibliche Stimmen, die laut sind, weil aktuell eine sehr männerdominierte Gesellschaft sehr männerdominierte Werte hochhält und alles, was Weiblichkeit impliziert, mit Schwäche assoziiert wird. Ich wünschte, du hättest eine Talkshow im Fernsehen, wo du (in diesem Fall explizit weibliche) Gäst*innen einladen könntest, um über diese Themen zu diskutieren. Ich würde es schauen.
In welchem Spiel warst du Rennstallbesitzerin? 👀