Hi Friendos,
es ist etwas Monumentales passiert.
Nein, nicht nur die Tatsache, dass Christian Lindner einen Hund überfahren hat, Friedrich Merz im ersten Wahlgang NICHT zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde und die AfD jetzt natürlich hämisch Neuwahlen fordert, in der Hoffnung, dass sich die Umfragewerte bestätigen und die stärkste Partei in Deutschland ganzheitlich gesichert rechtsextrem ist. Was – übrigens! – wenige bis niemanden davon abzuhalten scheint, sie weiter in Talkrunden einzuladen. Deutschland bleibt zu gleichen Teilen angsteinflößend und wütend machend.
ABER: Vielleicht ist es genau dann auch gut, dass es ab jetzt in diesem Text um ein bisschen Quatsch geht. Oder?
Denn ich habe meinen Facebook-Account gelöscht und bin dadurch in einen überraschend schwergängigen Emotions-Morast gefallen.
So richtig, richtig auf Facebook aktiv war ich schon seit Jahren nicht mehr. Passwort vergessen, alte E-Mail-Adresse nicht mehr gefunden. Dann doch irgendwie wieder Zugang zu meinem Account bekommen. Festgestellt, dass man nirgendwo anders so gut ehemalige Mitschüler:innen, die einen in die Sozialphobie gemobbt haben, stalken kann. (Schön, dass ihr ein Eigenheim habt, FRANZI, aber ich lebe in einer Stadt mit einem U-Bahn-System, in dem es nur manchmal nach frischem Durchfall riecht! Wer hat jetzt gewonnen?!)
Fast wie durch Zauberei befindet sich sich die App plötzlich auf meinem Telefon. Kurz darauf ist sie fest in meine zunehmend manischer werdende Screen-Time-Routine integriert. In meiner Timeline landete neben offensichtlichem KI-Schmutz vor allem Pferdefotos. Manchmal auch KI-Bilder von Pferden. Egal, Pferde. Eine willkommene Abwechslung von meinem sonstigen Doomscrolling.
Manchmal schäme ich mich, wenn ich Facebook in der Öffentlichkeit aufrufe. Nicht, dass mich irgendeine Gen-Z-Person heimlich filmt und sich auf TikTok über die komische Boomer-Alte mit den müden Augen lustig macht.
Aber es gibt neben allen Schrott-Posts und passiv-aggressiven Gruppen zu Nischeninteressen (über eine habe ich hier geschrieben) eine Funktion, die mich wirklich, wirklich glücklich macht: “An diesem Tag vor X Jahren”.
(Ain’t nothing changed but the weather auswirkungen of menschengemachter klimawandel – Grandmaster Caz)
Mein Account reicht bis 2009 zurück. Ich war damals ein anderer Mensch. Gnadenlos unreflektiert. Angestrengt anti. Ordentliche Dosis Pick-me-Girl ohne jede Ahnung, dass mir glänzender, hellbrauner Lippenstift einfach nicht steht. Aber auch im Rahmen des Möglichen unbeschwert, offen, immer unterwegs. Und witzig! Oh Gott, wie verdammt witzig ich mal war.
Ich hatte viele Namen auf Facebook. Am längsten blieb “Lisa La Fabuleuse”. Erst mit “Le”, bis mich ein heute sehr erfolgreicher Deutschrapper freundlich darauf hinwies, dass das grammatikalisch falsch sei.
Wenn ich diese alten Beiträge und Fotos sehe, jeden Tag ein neuer willkürlicher Blick in die Vergangenheit, werde ich ganz weich und warm in mir drin. Es fühlt sich an, als würde ich einem anderen Menschen beim Existieren zugucken. Oder als wäre ich eine dieser Anwohnerinnen, die im Rahmen einer True-Crime-Doku auch nicht so richtig viel Interessantes zu erzählen haben, aber irgendwen musste Netflix ja vor die Kamera zerren und alle Beteiligten sind tot oder im Knast. Auf kontextlose Impressionen heruntergebrochen, fühlt sich ein Leben so klein an.
(Video super cringe, aber 2000irgendwas kannten wir das Wort “cringe” noch nicht, da gab es nur “whack” und es ist mir egal, ob man das mit oder ohne “h” schreibt.)
Je älter ich werde, umso schwerer fällt es mir nachzuvollziehen, warum ich diesen einen traurigen Song an diesem einen Tag gepostet habe, als würde mein Leben davon abhängen, dass nicht nur ich heulend in der Dusche mitsinge. Komischerweise fehlt ein Lied, von dem ich weiß, dass es mich lange begleitet hat. Vielleicht habe ich es aber auch nur für mich gehört, auf meinem iPod, der seit mindestens zehn Jahren kaputt ist, und den ich jeden Tag vermisse.
Facebook wirft mich wie keine andere Social-Media-Plattform in eine Zeit zurück, in der ich vollkommen unbedarft Dinge aus meinem Leben mit der Welt geteilt habe. Mal schäme ich mich, mal vermisse ich die Person, die ich damals war. Ziemlich oft starre ich auf alte Fotos von mir, vergleiche mich mit meinem jungen, deutlich leichteren aber nichtsdestotrotz eindeutig übergewichtigem Selbst und frage mich, ob es jemals einen Punkt geben wird, an dem ich mich wirklich schön finden kann.
(Das versteht ihr jetzt nur, wenn ihr auch ein Gamer Girl wie ich seid. Oder eine Gaming Entity, wir diskriminieren hier nicht nach Geschlecht.)
Das geht Wochen so, Monate. Wie süchtig warte ich jeden Tag auf den neuen Trip in die Vergangenheit. Bis Ich merke, dass die rosarote Plexiglasscheibe, die Facebook über Impressionen aus rund 15 Jahre meines Lebens legt, mich in der Vergangenheit hält. Das tut mir nicht gut. Ich muss nach vorne gucken. Vor allem aber habe ich keine Lust mehr darauf, Splitter meiner Selbst auf sämtlichen Datenkrake-Plattformen dieser Welt liegen zu lassen.
Während ich das schreibe, werden meine Augen ein bisschen feucht. Ist das eine Beerdigung? Warum fühlt sich das Löschen von 16 Jahren Online-Existenz wie Sterben an? Wenn das die dystopische hochtechnologisierte Zukunft ist, von der die Bundespolizei Berlin Brandenburg träumt, wo sind dann die Beamten mit Pferdehufen und Dronen, die aussehen, wie fliegende Neon-Fleshlights?
(Besteht ein impliziter Zusammenhang zwischen diesem Screenshot und den Machtfantasien der Bundespolizei Berlin-Brandenburg? Schreibt es mir in die Kommentare.)
Vielleicht vermisse ich auch nicht nur mein altes Ich, sondern auch eine Zeit, in der sich Internet und Social Media noch neu und aufregend angefühlt haben. Wo Facebook, Instagram, Reddit, Tumblr, YouTube noch Chancen auf Verbindung und positive Disruption waren, statt algorithmisch auf Zerstörung der gesellschaftlichen Grundordnung trainierte Reiter der Demokratie-Apokalypse.
Soziale Medien begannen für mich als Ort der Selbstfindung und des Selbstausdrucks, dann wurden sie auch berufsbedingt eine Plattform für Selbstdarstellung. Und jetzt? Habe ich langsam aber sicher keine Lust mehr.
Danke für Alles und Nichts, Facebook. Du warst furchtbar.
Community-Aufgabe (das hier ist ein wiederkehrendes Newsletter-Element)
Auf welche Social-Media-Plattformen habt ihr langsam aber sicher keine Lust mehr? Wird Christian Lindner als nächstes irgendwie-immer-noch-Kanzler Olaf Scholz überfahren und damit die vollkommene Regierungskrise auslösen? Diskutiert es in den Kommentaren.
🫀 Lisa
Ich müsste mich auch mal von Facebook trennen. Instagram benutze ich noch, folge dort politischen, feministischen, Tierschutz-Content und das hält mich da auch fest.
Twitter habe ich noch nie benutzt, tiktok ebenfalls nicht.
Ich kann insbesondere den Part mit den alten Fotos nachfühlen . Wenn ich Fotos von früher anschaue (und früher bedeutet in diesem Fall vor meiner Essstörung), sehe ich einem anderen Mensch. Ich war unbeschwerter und freier. Und hübscher, zumindest sehe ich das heute so. Es fällt mir echt schwer, Fotos vom „Danach“ anzugucken. Seither stehe ich mit meinem Körper auf Kriegsfuß.
Und Apps? Ich hab versucht, mich von möglichst vielen zu lösen. Twitter hat mich am meisten Überwindung gekostet, das war kurz nach Musks Übernahme. Heute bin ich froh drum. Facebook habe ich gelöscht, kurz nachdem ich aus der Schule raus war. Da hatte ich nie Zugang zu. Und von TikTok und Instagram halte ich mich fern. Die tun mir beide nicht gut. Aber das gilt letztlich auch für Nachrichten und Politik…